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05.03.2021

„Wunderbare, ergreifende und auch schwierige Momente“

Der Gesamtleiter des Margaretenstiftes wechselte zum Jahreswechsel nach 32 Jahren in den Ruhestand
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Als Erhard Zimmer 1989 als junger Diplompädagoge und Familientherapeut die Leitung des Margaretenstiftes übernahm, arbeiteten hier knapp 40 Mitarbeiter*innen an drei Standorten in Saarbrücken. Heute beschäftigt das Margaretenstift 400 Mitarbeiter*innen an rund 50 Standorten im Saarland und Rheinland-Pfalz. Die Angebotspalette des Margaretenstifts umfasst ein in dieser Form bundesweit einzigartiges Spektrum an Hilfen für insgesamt rund 300 Kinder, Jugendliche und Familien, die unter dem von Erhard Zimmer entwickelten Konzept der „Integrativen Hilfen“ zusammengefasst wurden.
Erhard Zimmer war stets interessiert, Praxis und Theorie miteinander zu verbinden; er engagierte sich über viele Jahre als Lehrbeauftragter an der KFH für Soziale Arbeit in Saarbrücken sowie an den Universitäten Trier und Luxemburg. So schaffte es Erhard Zimmer auch, das Margaretenstift als Partner von Hochschulen aus Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Belgien im Interreg-Projekt EUR&QUA zur Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Jugendhilfe zu etablieren und war in den letzten drei Jahren auch für dieses erfolgreiche Projekt, zuletzt als Präsident des Lenkungsausschusses, tätig.
Erhard Zimmer war ein Innovationsmotor für das Margaretenstift und die Jugendhilfe insgesamt.
Er verstand es, andere für seine Ideen zu begeistern, Projekte anzustoßen und seine innovativen Konzepte mit exzellentem Fachverstand und dem nötigen unternehmerischen Geist auch souverän umzusetzen, so dass im Saarland und Rheinland-Pfalz zahlreiche neue Betriebsstätten und Arbeitsplätze entstanden. Erhard Zimmer hat nicht nur patentgeschützte neue Verfahren entwickelt, sondern das Margaretenstift selbst zu einer wertvollen Qualitätsmarke entwickelt, die für eine innovative und offensive Jugendhilfe steht und sowohl traditionell bewährte als auch völlig neuartige Angebotsformen zu einer fachlich ansprechenden Entität zusammenführt.

 

Herr Zimmer Konnten Sie in Corona-Zeiten angemessen Abschied nehmen?
Ich habe bis zum Schluss daran gearbeitet, dass die Einrichtung für die Zukunft gut aufgestellt sein wird und habe es selbst eher vermieden, größere Abschiedsmomente zu zelebrieren. Ich habe die Möglichkeit genutzt, in vielen Einzelgesprächen und in kleineren Gruppen die Zusammenarbeit und das über viele Jahre gemeinsam Erlebte zu bilanzieren; das waren sehr wichtige Momente, die mir noch lange in Erinnerung bleiben werden und die mir beim Abschied nehmen geholfen haben. Schließlich habe ich in diesem Bereich sehr wenig Erfahrung und dementsprechend auch keine Routine entwickeln können.
Gerne hätte ich mich auch noch von vielen anderen Wegbegleiter*innen persönlich verabschiedet, allerdings war dies Pandemie-bedingt einfach nicht möglich. Das ist schade, aber ich denke, dass viele Menschen derzeit wesentlich mehr entbehren, damit wir alle gesund bleiben und die Pandemie hoffentlich bald verabschieden können.
Ich habe eine Abschiedskarte an jede/n Mitarbeiter*in des Margaretenstifts und alle Partner*innen und Freund*innen des Margaretenstift geschrieben, um mich für die Begleitung auf diesem langen, schönen Weg herzlich zu bedanken.
Am 18. Mai 2021 soll die in 2020 Pandemie-bedingt bereits zweimal verschobene Jubiläumsfeier (25 Jahre IF SB, 15 Jahr IF TR und 10 Jahre SFC) nachgeholt werden; in diesem Zusammenhang wird dann auch meine offizielle Verabschiedung geplant – wir werden sehen, ob und in welcher Form dies möglich sein wird.

 

Ein gänzlicher Abschied ist es ja nicht – Sie sind weiterhin als Geschäftsführer für die IF Trier tätig und Sie haben noch einige weitere Projekte, die Sie vorantreiben – erzählen Sie uns davon?
Nun, in der Tat gibt es einige weiterführende Ideen und auch ganz konkrete Vorhaben, aber zielführend für die Entscheidung zur Altersteilzeit war die Einsicht, beruflich kürzer zu treten, um mich in der eigenen Familie generationenübergreifend besser und mehr engagieren zu können. Infolge fehlender Routinen für meinen neuen Alltag befinde ich mich derzeit in mehreren Lernprozessen gleichzeitig –aber das sehe ich mit relativer Gelassenheit – zumal meine Lieben meine ersten Schritte (noch) lustig finden.
Nachdem Dagmar Scherer (Geschäftsführerin der cts Jugendhilfe gGmbH) ihre Entscheidung für Dr. Stefan Eisenbeis, den damaligen Pädagogisch-Therapeutischen Leiter des Margaretenstifts, als meinen Nachfolger offiziell bekannt gab, blieb ein gutes Jahr Zeit, die Übergabe an Dr. Eisenbeis und ein neues ergänzendes Leitungsteam zu planen und vorzubereiten– so gesehen, war es auch ein langer Abschiedsprozess, der sich zudem Pandemie-bedingt noch um ein halbes Jahr verlängerte. Die Übergabe der Geschäftsführung an die derzeitige Leitung der IF Trier Anna Kondziela ist ebenfalls bereits im Gange und wird spätestens im Sommer dieses Jahres abgeschlossen sein –aktuell wird im Anschluss eine beratende Tätigkeit meinerseits für diesen Betrieb bis Ende des Jahres geplant.
Derzeit bin ich quasi ehrenamtlich noch beschäftigt mit dem Abschluss des Interreg-Projektes EUR&QUA und arbeite mit an der Implementierung des internationalen Netzwerkes S.O.P. (Sicherheitsorientierte Praxis). Terminlich habe ich bis dato lediglich meine Mitarbeit an einer dreitägigen Fachtagung in Metz im November 2021 sowie meine Mitwirkung an einer Veröffentlichung zum Thema Familienarbeit in Koop mit der Uni Mainz zugesagt.
In den nächsten Wochen wird sich überdies entscheiden, ob ich mich im Sommersemester dieses Jahres im Rahmen eines Lehrauftrages wieder in der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen engagieren werde.

 

Was vermissen Sie besonders?
Ich werde sicherlich die vielen Möglichkeiten der Gestaltung, die zahlreichen Projekte und noch mehr die Menschen dahinter vermissen, aber ich freue mich auch auf Neues und v. a. auf ein Mehr an Zeit für meine Lieben und mich selbst.
Ich hätte auch noch gerne ein paar Ideen weiterentwickelt, aber so gesehen fände meine Arbeitszeit im Margaretenstift zu Lebzeiten nie ein Ende und genau hier setzt die Altersteilzeit an – quasi ein Anker, den ich bereits vor vier Jahren im Wissen gesetzt habe, dass mir die Arbeit bis zum Ende sehr gefallen wird. Ich bin dankbar, dass ich gesund in die Passivphase der Altersteilzeit wechseln konnte und hoffentlich bald auch einiges zurückgeben kann von dem, was ich v. a. von meiner Familie stets an Unterstützung erhalten habe. Schließlich möchte ich auch wieder mehr Zeit investieren können für Treffen mit Freunden, das Reisen, das Lesen, die Realisierung einiger Umbauprojekte und auch für ungeplanten Alltag.

 

Gibt es bestimmte Themen, die Sie Ihr ganzes Arbeitsleben über angetrieben haben? Worauf lag Ihr Augenmerk?
Solange ich zurückdenken kann, hatte ich stets ein großes Interesse an selbständiger Gestaltung, an betrieblichem Management und an dem Austausch mit andern Menschen. Dies wurde durch frühe Erfahrungen in meiner familiären Sozialisation beeinflusst. Mein ausgeprägtes Interesse an sozialen Themen wurde eher in der Jugendphase geweckt und durch sozial engagierte Vorbilder im direkten Umfeld gefördert. Im beruflichen Alltag waren es die pädagogisch und therapeutisch begründeten Zielsetzungen zur Verbesserung von schwierigen Lebenslagen junger Menschen und deren Familien, die mein Denken und Handeln bestimmten. Ergänzend gibt es einige durchaus pragmatische und alltagsorientierte Leitideen, an denen ich mich bis heute orientiere, wie z. B.: Dranbleiben, auch wenn es schwierig wird / Grenzen des Machbaren akzeptieren, aber nicht vor ihnen kapitulieren / Nichts verlangen, was ich nicht auch selbst zu tun bereit bin / Die eigene und auch die institutionelle Logik kontinuierlich und kritisch hinterfragen.
Außerdem glaube ich, dass man für fast jedes Problem eine Lösung finden kann und falls nicht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das Problem selbst die Lösung.
Kunst, Kultur und Bildung sind wichtige Themen, die in der Pädagogik des Margaretenstifts fest verankert wurden. Ich empfand es auch als ein Geschenk, dass das Margaretenstift über eine wunderschöne von dem Saarbrücker Künstler Ernst Alt gestaltete Kapelle verfügt, in der regelmäßig gemeinschaftlich gefeiert und gesungen wird. In einigen Situationen war ich dankbar, diese Kapelle auch als Ort der Stille zum Nachdenken, Beten und Meditieren nutzen zu können.

 

Was würden Sie als die Highlights Ihrer Zeit im Margaretenstift bezeichnen? Worauf schauen Sie besonders gerne zurück?
In den vielen Jahren als Leiter des Margaretenstifts durfte ich zahlreiche schöne und im positiven Sinn besondere Momente erleben und es fällt mir schwer, diese zu priorisieren. Deshalb nenne ich hier ohne Rangfolge einige Beispiele, die mir spontan einfallen: Es war besonders, als Experte für Familienarbeit das Team des Deutschen Jugendinstituts zu verstärken und eine Woche auf Staatsbesuch nach Kiew reisen zu dürfen. Es war besonders, mit Kolleg*innen aus Holland, Schweden, Frankreich, Luxemburg, Portugal, Namibia und viele Institutionen in Deutschland zusammenarbeiten zu können, stets auf der Suche danach, die eigenen Möglichkeiten innerhalb des Margaretenstift im Interesse der Kinder, Jugendlichen und deren Familien zu erweitern. Es war auch etwas Besonderes, dass die Stadt und der Stadtverband SB, das Land und auch der Bund sich begeistern ließen für die Idee der IF, sodass wir im Verbund mit den Kolleg*innen aus der saarländischen Jugendhilfe im hierzu kostenlos bereit gestellten Schloss gemeinsam mit Vertreter*innen aus allen wichtigen deutschen Fachverbänden und Kolleg*innen aus der holländischen Kinder- und Jugendpsychiatrie das jahrelang vorbereitete Basiskonzept diskutieren konnten.
Ich erlebte es auch als besonders, dass mir die Mitarbeiter*innenvertretung (MAV) des Margaretenstifts zum Abschied zwei Apfelbäume (Marke: Rebella) schenkte – einen zum Einpflanzen zu Hause und einen zum Einpflanzen an einem von mir ausgewählten Standort im Haupthaus des Margaretenstifts.
Es ist wunderbar und ergreifend und somit ganz besonders, wenn Eltern es trotz sehr schlechter Voraussetzungen schaffen, Familie zu werden und die Kinder sich freuen, wieder zu Hause leben zu können. Ich erinnere mich auch an die vielen besonderen Momente im Zusammenhang mit den zahlreichen Hauseinweihungen oder an die Premiere eines von den Kindern des Margaretenstifts geschriebenen Theaterstückes mit eigens hierzu komponierten Liedern. Ich erinnere ferner den Einzug der ersten größeren Geschwistergruppe und die damit beginnende Umsetzung einer besonderen Geschwister-pädagogik mit besonderen Möglichkeiten zum Erhalt größerer Geschwistergruppen.
Ich habe u. a. auch im Rahmen der jahrzehntelangen Rufbereitschaft viele besonders schöne und mitunter auch besonders schwierige Momente erlebt, in denen ich stellvertretend für das Margaretenstift sowie persönlich Freude und auch Stolz verspürte auf das, was unsere Mitarbeiter*innen den Kindern und den Eltern in teils extrem schwierigen Situationen zu geben imstande waren.
Wenn ein Kind oder Jugendlicher aus Not seine Familie verlassen und unverhofft, manchmal mitten in der Nacht, in eine Wohngruppe musste, war es für mich immer ein Highlight, wenn feinfühlige Mitarbeiter*innen es schafften, dem Kind die Angst zu nehmen und gleichzeitig souverän die Gruppe zu begleiten und zu steuern.
Wer genau hinschaut, kann auch im erzieherischen Alltag unzählige Highlights entdecken. Da freut sich ein Kind darüber, dass eine Mutter endlich wieder zu Besuch kommt; eine Gruppe von Jugendlichen gründet ein Projekt und besucht verschiedene Gedenkstätten, um mehr über unsere Geschichte zu erfahren und besser argumentieren zu können; ein ehemaliger Schulschwänzer feiert seinen unerwartet guten Schulabschluss; Jugendliche schreiben einen Rap über die Bedeutung von Corona-Regeln und verstehen, dass sie damit v. a. auch ältere Menschen schützen; eine ganze Wohngruppe bereitet ein Auszugsfest vor für ein Kind, das wieder nach Hause gehen kann; eine Jugendliche dreht mit ihrer Erzieherin einen Videoclip, um ihren Weg zu dokumentieren und anderen Jugendlichen Mut zu machen. Ich betrachtete es immer als ein großes Glück, solche Momente erleben zu dürfen; die damit verbundene Freude war ein großer Teil der Wegzehrung, die mir half, auch die ein oder andere lange und steinige Wegstrecke zurücklegen zu können.

 

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Ich schaue auf all das besonders gerne zurück und wünsche meinem Nachfolger Dr. Stefan Eisenbeis und dem erweiterten Leitungsteam, dass sie ebenfalls viele bestätigende Rückmeldungen zur Sinnhaftigkeit des Ganzen und ihres eigenen Tuns erhalten werden. Das motiviert und hilft, die wahrlich große Gesamtverantwortung gut und gerne zu tragen. Die Größe der Einrichtung und die liebevolle Komposition des Ganzen entfalten ihren besonderen Wert immer nur im Einzelfall. Es ist ein Segen, wenn man erleben darf, dass die Konzepte wirklich greifen und junge Menschen und Familien sich dank der engagierten Unterstützung und Begleitung entfalten und lebenswerte Perspektiven entwickeln. Dies erleben zu können, ist hochgradig motivierend und ermutigend. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er und sein Leitungsteam diesen zusätzlichen Lohn auch erhalten werden. Ich bin persönlich sehr dankbar, dass ich derart gestalten durfte. Ich hoffe, dass die vielen Partner*innen und Freund*innen des Margaretenstifts auch Dr. Stefan Eisenbeis und seiner Leitungscrew ihr Vertrauen schenken werden und freue mich auf seine Weiterführung des Bestehenden sowie auf die besonderen Akzente, die er und seine Leitungskolleg*innen dem Margaretenstift in Zukunft noch geben werden.

 

Mein Engagement im Margaretenstift endete mit dem 01.01.2021 – mein Engagement für das Margaretenstift und die Jugendhilfe nicht.

Ich danke allen, die mich auf meinem Weg als Leiter des Margaretenstifts begleitet haben.

 

 

In Ihrem Abschiedsbrief an die Partner*innen und Freunde des Margaretenstiftes schreiben Sie, dass Sie dies alles und noch mehr die Menschen dahinter vermissen werden, aber dass nun die Zeit ist, etwas Neues zu beginnen und (mal wieder) dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.

Wir wünschen Ihnen für Ihren Start in die neue Lebensphase, dass der Zauber, der jedem Anfang innewohnt, Sie wieder einmal begleiten möge und dass Sie noch viele Jahre gesund im Kreise Ihrer Lieben werden genießen können.

 

Lieber Herr Zimmer, vielen Dank für dieses interessante Interview.

 

Caritas Jugendhilfe Margaretenstift Am Schönental 15, 66113 Saarbrücken Anfahrt 0681/94817-0 (Zentrale) 0681/94817- 28
Einrichtungsleiter
Dr. Stefan Eisenbeis
Dipl. Psychologe, PP
0681/94817-15